Subversive Landschaften 

Beobachtungen zur Malerei von Klaus Geigle (2005)

Klaus Geigle ist Maler. Hinter dieser simpel erscheinenden Aussage verbergen sich einige bedeutsame Implikationen. Sein Verhältnis zum Material ist nicht nur handwerklich-funktional geprägt. Farbe ist in seinen Bildern zudem nicht gleichzusetzen mit Färbung, sondern ebenso mit Schwere, mit Zähigkeit, mit fassbarer Materialität. Im Malprozess entwickelt diese Materialität ihren eigenen Willen, der sich auch als Widerstand den Absichten des Malers entgegenstellen kann, entgegenstellen soll. Der Maler Klaus Geigle bewältigt sein Material nicht durch Virtuosität. Eine genialische Attitüde ist ihm fremd. Er begegnet dem Material im Modus der Zwiesprache. Sein Gegenüber erhebt dabei nicht selten eine unerwartet bedeutsame Stimme. Seine Bildvorstellungen dienen ihm als Orientierung oder als inneres Gravitationsfeld des Bildprozesses, der sich jedoch bewusst mit dem Widerstand des Materials und dem Werden des Bildes auseinandersetzt.  Gerade dort, wo er seine Bilder im Laufe ihres Entstehungsprozesses immer wieder gegen den Strich bürstet, um das vorschnelle Einrasten von oberflächlichen Bildaussagen oder inhaltlichen Identifizierungen zu verhindern, eröffnet sich die Möglichkeit zur Begegnung mit dem Unerwarteten, dem Überraschenden oder auch Abgründigen. 

Die Bilder Klaus Geigles verbergen ihr Geworden-Sein nicht. Ihre Sichtbarkeit bewahrt Spuren der Entstehung und das Farbmaterial zeigt nicht nur „Etwas“, sondern immer auch sich selbst. Das Zeigen steht nicht einfach im Dienste des Gezeigten, sondern erhält eine eigene Stimme, die sich in der Orchestrierung des Ganzen als subversives Element erweist.

Das schwefelgelb hingepuderte Rapsfeld  beginnt ein beinahe körperlich empfundenes Gefühl chemischer Künstlichkeit hervorzurufen und mag bei manchem gar den Anflug allergischer Reaktionen auslösen. Die Überschwemmungsgebiete zeigen Ausblühungen, die sich als eine Art von Schimmel auf der Leinwand ausbreiten. Der Tornado durchpflügt ebenso die dargestellte Landschaft wie den Farbmaterialfilm der Bildoberfläche. Begrenzungen changieren zwischen Acker- und Farbfeldkante. 

Die Vogelperspektive bringt die Landschaft als Oberflächentextur in Erscheinung, auf der Elemente unterschiedlicher Griffigkeit und Konturierungsschärfe verteilt oder angeordnet sind. Klaus Geigles „Luftaufnahmen“ stellen sich gegen die traditionelle Typisierung der Landschaft durch eine dominante Horizontlinie. Wo diese ins Bild kommt, wird sie nicht kontrastierend hervorgehoben, sondern eher mit der Landschaft zu einer relativ homogenen Hintergrundfolie verschmolzen. Der Betrachter wird also nicht mit einem tiefengestaffelten Kulissenraum konfrontiert, in den er illusionistisch hineingeholt würde, sondern er sieht sich einer Oberfläche gegenüber – der Oberfläche der Landschaft wie der Oberfläche des Bildes. Vorstellungen und Erfahrungen von natürlichen Prozessen, von Landschaft, Natur oder Naturgewalt geraten in Wechselwirkung mit Vorstellungen von Malprozess, Farbsubstanz und Malbewegung. Während visuelle Imaginationen von Naturprozessen und -materialien derart auf die Bildoberfläche durchschlagen, evoziert die Art des Farbauftrags sinnlich-materiale Assoziationen, die sich wiederum mit dem Dargestellten verbinden. Da diese Rückkopplung in der Schwebe gehalten wird, kommt es nicht zu einer einfachen, eindeutigen Identifikation des Sichtbaren. Die Bilder halten nicht still, so lakonisch und unaufdringlich sie auch daherkommen mögen.

Die subversive Rückkopplung von Landschafts- und Naturoberfläche auf der einen und der Bildmaterialität auf der anderen Seite findet eine entsprechende Antwort auf der Ebene des Sujets. Den moos- bis flechtengrünen Farb-„Feldern“, deren Substanz durch die ausgefransten oder unscharfen Grenzen hindurchsickert, stehen die scharf konturierten Dächer der Architekturelemente gegenüber. Mit ihrer kontrastierenden Farbigkeit steigert Klaus Geigle den Eindruck von Künstlichkeit oft bis zu Assoziationen  mit Plastikspielzeug oder Modellbauwelten. Den wohlgeordneten Häuserensembles eignet damit ein Moment des Unechten und Trügerischen. Zwischen der friedlichen Naivität der „Trashheime“ und der „Skihütte“ einerseits und ihrer eigenen Kunststofflichkeit andererseits tut sich ein Abgrund auf. Die erdigbraune oder grünlichgraue Farbmaterie bedroht die propere Homogenität der Musterhäuschen als fräsender Wirbelsturm, als schmutziger Fleck, als schweflige Wolke, als schlammige Flut. 

Das Abgründige, auch Melancholische der Bilder Klaus Geigles wird stets durch die gesteigerte Künstlichkeit abgefangen, die oft deutliche Zeichen eines augenzwinkernden Humors trägt. Dadurch wird es jedoch keineswegs zurückgenommen oder schlicht verdaulich gemacht. Auch der humoristische Zug seiner Bilder erweist sich als subversive Strategie, als trojanisches Pferd, als Stückchen Zucker, durch das wir mit Sensibilität und wachem Zweifel gegen die Borniertheit der wohl präparierten Eigenheime unseres Denkens geimpft werden.

Stefan Hölscher