Carsten Roth

Herrn Geigles Gespür für Hasen, Asphalt und grünendes Grün

Rede zur Eröffnung der Ausstellung

Klaus Geigle – „Plattflattermann“

Kunstverein Bochumer Kulturrat

08. März 2014 – 18. April 2014

Nach den wunderbaren Ausstellungen „feldwegein“ von Anne Kückelhaus im März 2013 und „EuleHeule“ von Verena Püschel im Januar 2014 freue ich mich, mit Klaus Geigle und „Plattflattermann“ nunmehr einen dritten Künstler der Ateliergemeinschaft Schulstraße in Münster hier begrüßen zu können. Er studierte 1995–2003 an der Kunstakademie in Münster bei Prof. Lili Fischer und als Meisterschüler von Prof. Udo Scheel. Anne Kückelhaus und Verena Püschel haben überwiegend Tierisches präsentiert, und Klaus Geigles Ausstellungstitel wie auch die von ihm entworfene Einladungskarte lassen ähnlich geartete Abgründe erwarten, wenngleich die Fauna nicht sein Hauptthema ist

Aber erst einmal grundsätzlich vorweg: „Plattflattermann“ ist nicht gedacht, um Tieren nachzuspüren, sondern vielmehr um sich über die Gesetzmäßigkeiten der Malerei, über Gattungsbegriffe und Kunststile sowie über Bildtitel Gedanken zu machen. Für den Kunsthistoriker ist das Schaffen von Klaus Geigle also ein Traum.

Das fängt schon an mit der „Gattungsmalerei“. Auch wenn Klaus Geigle in erster Linie ein Landschaftsmaler ist, so spielen doch lebendige wie präparierte Tiere bei ihm eine entscheidende motivische Rolle. In der Tiermalerei gibt es zwei nicht exakt abgrenzbare Bereiche. Das ist zum einen die quasi „reine“ Tierdarstellung, das so genannte „Tierstück“, bei dem es um die das Bild dominierende Wiedergabe von Tieren geht. Das Tier ist hier immer das Hauptmotiv und Darstellungsanlass, etwa aus der Absicht, ein bestimmtes, namentlich bekanntes Haustier in einem Tierporträt zu verewigen, oder aus allgemeinem biologischem Interesse an Phänotypen oder Verhaltensweisen von Tieren.

Nicht zuletzt weil wir uns dem Osterfest nähern, werfe ich nun das Stichwort „Hase“ in den Raum, das ich als bekannt voraussetze. Zur kurzen Orientierung: Das ikonogaphische Terrain spannt sich grob von Albrecht Dürers Aquarell „Feldhase“ (1502) bis zu Joseph Beuys’ Aktion „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ (1965), dabei nicht eingerechnet allerlei signifikante Vor- und Nachfahren wie Klaus Geigle. Da der Hase als solcher ihn bewegt, haben wir sogar einen separaten Hasenraum eingerichtet; weitere Hasen durchhoppeln diverse Bilder in den Kellerräumen. Als passendes lyrisches Stimmungsbild an dieser Stelle zunächst einmal das Gedicht „Herbstwiese“ von Hubertus Janssen:

Morgens grasen

wilde Hasen.

Grau die Nasen,

grün der Rasen.

Weißer Nebel.

Morgentau blau.

Junge Hasen,

die da grasen.

Feucht die Nasen,

nass der Rasen.

Morgens grasen

nasse Hasen.

Aus gegebenem Anlass verweise ich besonders auf die Zeile: „grün der Rasen“. Von Grün wird nämlich später noch etwas ausführlicher zu reden sein; ich stimme aber jetzt schon mal kurz darauf ein. In der Reclam-Anthologie „Grüne Gedichte“ ist es Carl Zuckmayer, der in seinen Frühlingsversen „Ein Lied von Kraut und Gras“ die Begriffe „Grün“ und „Hase“ sehr richtig in Zusammenhang bringt. Hier nur ein Teil der ersten Strophe:

Auf der Mainau und im Rheingau

Wächst viel Kraut und grünes Gras,

Drüber hupfet, drunter lupfet,

Seinen Sterz der Frühlingshas:

[…]

Der Terminus „Sterz“ führt unweigerlich zu einem Gemälde in unserem „Hasenraum“, das die Begegnung eines Hasen mit zwei Jägern zeigt. Gattungstypologisch ist dergleichen aus mehreren Jahrhunderten altbekannt. Eine Landschaft mit Tier- und Menschenstaffage oder genauer: Ein Bild aus dem Fundus der Jagdmalerei. Entstehungsgeschichtlich ist dieses Jagdstück bemerkenswert: Die beiden Jäger unten rechts hat Udo Scheel, der Professor Klaus Geigles, als Rückenfiguren in das Bild eingesetzt. Solche Gemeinschaftsarbeiten waren – etwa in der Düsseldorfer Malerschule des 19. Jahrhunderts – durchaus üblich. Immer wieder haben Figurenmaler menschliche Gestalten in die Werke spezialisierter Tiermaler eingesetzt oder es belebte ein Tiermaler aushilfsweise das Leinwandbiotop eines Kollegen vom Landschaftsfach. Bei Geigle ist das Resultat aber spezieller als bei diesen Naturalisten und Realisten. Es stellt die nämlich metaphysische Frage: Worin besteht die Wirklichkeit des Wirklichen? Der Hase ist bedeutungsperspektivisch ein übergroßes Monster, gegen das die Jäger mit dem Schießgewehr schlecht gerüstet sind. Da denkt man gern an die „verkehrte Welt“ in der „Geschichte vom wilden Jäger“ aus Heinrich Hoffmanns Versbilderbuch „Der Struwwelpeter“. Der Jäger, also die Autorität, wird verhöhnt, der Hase als der Schwächere feiert sympathische Triumphe:

Es zog der wilde Jägersmann

Sein grasgrün neues Röcklein an;

Nahm Ranzen, Pulverhorn und Flint’ –

Und lief hinaus in’s Feld geschwind.

Er trug die Brille auf der Nas’

Und wollte schießen tot den Has.

Das Häschen sitzt im Blätterhaus

Und lacht den wilden Jäger aus.

Das geht noch sehr spaßig weiter, würde aber hier den Rahmen sprengen. Dem weißen Hasensterz – oder laut Jägersprache – der Blume entspricht quasi als gespiegeltes Gegengewicht auf der anderen Bildseite ein gleichgroßer weißer Punkt, der den rechten Jäger und seine Waffe verfremdend, skurril und surreal zu entmaterialisieren scheint.

„Metaphysik“ und „Entmaterialisieren“ sind gute Stichwörter, denn neben dem Jagdbild hängt „Das Heisenberg-Bunny“, das ein Stück asphaltierter Fahrbahn zeigt, aus dem die weißen Löffel eines „Ghostrabbit“ hervorragen, so als wucherte ein Unkraut unter dem Straßenbelag hervor oder als entwickelten fehlplatzierte Reste weißer Markierungsfarbe ein sonderbares Eigenleben. Dazu paßt ein Haiku, ein traditionelles japanisches Kurzgedicht von Chihaku, dem drei asketische Zeilen für ein Stimmungsbild genügen:

„Im Schnee des Ackers

von einem braunen Hasen

des Ohres Schatten.“

Ob und inwiefern das Bildverständnis Spezialwissen über Leben und Werk des Physikers Werner Karl Heisenberg, jenes Vordenker der Chaostheorie, der Unschärferelation und der Quantenmechanik, erfordert, ist bisher unbekannt, aber wenn man mit dem Hasen Cäsar und Bugs Bunny aufgewachsen ist, dann ist einem aus dem Bereich unterirdischer Hasenaktivitäten und explodierender Möhren sowieso nichts mehr fremd. Ohne das Irritationsmoment aufkeimender Hasenohren im Sinne eines Aufstands der Zeichen könnte das Flächen- und Liniengefüge dieses Straßenausschnitts durchaus auch als gegenstandsloser Konstruktivismus durchgehen.

Selbst einem nahezu klassischen Tierstück kann man bei Klaus Geigle durchaus begegnen, etwa in dem nicht ausgestellten Gemälde „Zwei Hasen“, das die in der Paarungszeit um ein empfängnisbereites Weibchen „boxenden“ Feldhasen durch und durch naturalistisch im Wiesengrün zeigt. Spannend wird es, wenn er – und das ist in unserem „Hasenraum“ zu sehen – die Kontrahenten in realistischer Malerei beibehält, jedoch Vorder- und Hintergrund durch ungegenständliche Farbmaterie austauscht. Statt vor naturmimetischem Gras und Himmel findet der Boxkampf plötzlich vor schachbretthaften Quadraten statt. Man kann dabei nicht einmal von einer Hintergrundfolie sprechen, da sich der räumlich figurative Vordergrund und der flächig konstruktivistische Hintergrund in subversivem Stilmix partiell durchdringen. Das korrespondierende Prinzip „Tierporträt meets Informel“ funktioniert übrigens auch – wie unsere Ausstellung zeigt – mit Mardern und Wellensittichen.

Nicht ausgestellt sind einige größere Bilder mit „Ghostrabbits“, die als weiße Schemen im floralen Grün verteilt sind oder das ähnliche Gemälde „Wiese“, auf dem das Gras offenbar mit realen schlafenden Hasen oder womöglich Hasenleichen durchsetzt scheint. Die Assoziation an eine unerklärliche Epidemie, eine X-Akte oder ein Schlachtfeld könnte weit her geholt erscheinen. Doch ist dies kein über- und hineininterpretatorischer Impetus, sondern ein ganz konkreter Bedeutungshorizont, denn ein anderes hier ebenfalls nicht zu sehendes Gemälde trägt den Titel „Verdun“. Es zitiert die Schlacht um Verdun 1916, eine der bedeutendsten Schlachten des Ersten Weltkrieges. Graue Hasen – oder hier sind es wohl Kaninchen, aber das ist egal – hoppeln verstört und verloren durch eine matschigbraune Kraterlandschaft, wie wir sie von Kriegsfotos kennen. Ähnlich wie bei den boxenden Hasen ist es durchaus möglich, in solchen Tierstücken oder mit Tieren staffierten Landschaften Allegorien auf menschliches Treiben zu sehen und in dem Gemälde „Verdun“ speziell eine Paraphrase auf die Historienmalerei, speziell die Schlachtenmalerei. Die zerstörte Landschaft ist dieselbe wie bei den Kriegs- und Antikriegsmalern, aber der Austausch von Soldaten durch Kaninchen, gibt dem Thema eine gesteigerte Bedeutungskomponente im Sinne der „Banalität des Bösen“.

Ich sagte es schon: In erster Linie ist Klaus Geigle Landschaftsmaler. Die letzte große Solo-Show im Saarländischen Künstlerhaus in Saarbrücken 2013 hieß daher programmatisch „Terraforming“. Ich wende mich daher kurz der Landschaft zu. Der Bildtitel „Hamster, in ernste Landschaft einfahrend“ klingt, als stamme es aus dem 1891–1901 von Friedrich von Boetticher publizierten vierbändigen Lexikon „Malerwerke des 19. Jahrhunderts“, in dem Abertausende von längenmäßig teilweise sehr narrativen Ausstellungstiteln versammelt sind. Bei Klaus Geigle wird daraus eine Parodie. Denn wir finden ja gar keine „Heroische Landschaft“ vor, deren erster großer Meister im 17. Jahrhundert Nicolas Poussin war. Kennzeichen der Gattung sind zumeist schroffe Felsengegenden mit dramatisch bewölkten Himmeln, staffiert mit biblischen und mythologischen Figuren. Sicherlich sorgt in „Hamster, in ernste Landschaft einfahrend“ ein düster dräuender Himmel für ein gewisses heroisches Feeling, aber der Golfplatz als Schauplatz, die herumhoppelnden Karnickel ohne Heldenbiographie und der auf einem Motorroller hereinfahrende so genannte Hamster, der genau genommen ein Eichhörnchen ist, fügen sich nicht den herkömmlichen heroischen Gattungsgesetzen und fordern deren Neudefinition oder zumindest Erweiterung. Ein Teil der Geigle-Gemälde wäre seitens der Kunstgeschichte in die Rubrik „Landschaft mit Tierstaffage“ einzusortieren, doch würde dieses Gattungsetikett womöglich nostalgische Vorstellungen von grasender Kuh und brünftigem Hirsch wecken, die Geigles originelle Bilder eher nicht einlösen. Da begegnet uns in „Snakebambi“ vor informellen Pinselstrichen ein Reh mit gespaltener rosa Reptilienzunge, da kloppen in mehreren Werken drei vermeintliche Hamster Skat und drei andere angebliche Hamster diskutieren den nächsten Tagesausflug.

Viele Landschaften Geigles stehen in der der Tradition der „Paysage intime“. Das ist die ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich ausgeprägte unkomplizierte Gegenposition zu der großen, aus einzelnen Motivbausteinen komponierten, also zusammengesetzten „Heroischen Landschaft“. Die „Paysage intime“, die „vertraute Landschaft“, ist hingegen klein, vermittelt keine religiösen, geschichtlichen oder literarischen Inhalte und gibt unspektakuläre, schlichte Landschaftsausschnitte in einem skizzenhaft lockeren, breiten, pastosen Farbauftrag und einem naturalistischen Kolorit wieder. Bei Klaus Geigle sind dies prosaische Straßenränder, Fahrbahndecken, Parkboxen, Taxistreifen, Radwege, Verkehrsinseln, Parks, stille Winkel urbaner Vor- und Hintergärten, Golfplätze und Friedhofsszenerien, zuweilen durch das eine oder andere Tierchen bevölkert.

Wer die Gemälde des US-amerikanischen Realisten Edward Hopper für den Inbegriff der Einsamkeit des modernen Menschen hält, der könnte die Porträts reservierter Parkplätze von Klaus Geigle mit den Steigerungsformen „einsamer“ und „einsamst“ apostrophieren. Diese Kombinationen der uns allen bekannten und allüberall austauschbaren Versatzstücke Asphaltbelag, Seitenmarkierung und Grünstreifen mit Buschwerk vor Hauswand lassen nur den Gruß „Bonjour Tristesse!“ zu. Mit dem nötigen Betrachterabstand wirken diese Denkmäler des unbekannten Unorts trotz ihres skizzenhaften Duktus verblüffend fotoreal. Die irgendwie gespenstische Menschen- und sogar Automobilleere fordern uns heraus, die Askese zum Stillstand gekommener Road Movies entweder zu genießen oder aber passende Geschichten zu erfinden. Die klassischen Formatgesetze der Landschaftsmalerei werden dabei auch schon einmal umgekehrt: Groß hat normalerweise die „Heroische Landschaft“ zu sein und klein die „Paysage intime“. Bei Klaus Geigle kann ein „vertraute Parkplatz“ in die lebensgroßen Dimensionen eines Historienschinkens wachsen. Auch andere Szenen aus den Biographien asphaltierter Straßen gehören zum Motivrepertoire des Malers; so präsentiert er gelegentlich morbide „Asphaltstücke“ mit tödlich verunfallten Hasen, die von Automobilreifen sukzessiv zu blutigen Fellbrettern plattgewalzt wurden. „Mittelstreifen“ oder „Fell“ heißen solche Bilder oder – wenn zum Beispiel vier Hasen irgendwie zugleich überfahren wurden und achtohrig in dekorativer Kreuzform auf der Fahrbahn herumkadavern – „Ornament und Verbrechen“.

Sind es hier die malerischen Reize verschiedener Texturen und haptischer Qualitäten wie harter Asphalt und weiches Fell, so ergibt sich für den geneigten Landschafter normalerweise – und damit komme ich zum letzten meiner drei Stichwörter – normalerweise die intensive Beschäftigung mit der Farbe Grün. Auch ein schönes Gesprächsthema. Und so erinnere ich zunächst einmal an die erste Strophe des alten Volksliedes aus dem 19. Jahrhundert: 

Grün, grün, grün sind alle meine Kleider,

grün, grün, grün ist alles was ich hab.

Darum lieb ich alles, was so grün ist,

weil mein Schatz ein Jäger, Jäger ist.

Wenn der Schatz aber ein Maler, Maler ist, sieht die Sache schon wieder ganz anders aus. In der sechsten Strophe lautet der dazu gehörige Text nämlich: „Bunt, bunt, bunt sind alle meine Kleider“. Aber nicht bei Geigle. Hier ist es eben häufig das Grün, das geradezu charakteristisch für ihn wie auch für die „Schule von Barbizon“ ist, also für jene französischen Maler, die in dem gleichnamigen kleinen Dorf und im Wald von Fontainebleau die „Paysage intime“ ausprägten. Grün gilt als reichhaltigste Farbe in der Natur, als Farbe mit den meisten Nuancen. Allgemein konnotieren wir Grün positiv, aber liest man sich durch die Reclam-Anthologie „Grüne Gedichte“, so stößt man auch auf viel poetisches Leid in Sachen Abschied und Tod: „der Frühling lügt, wenn er grün über die wiesen flunkert“ behauptet Alfred Andersch in seinem Gedicht „Glaubwürdige Jahreszeit“, dessen Titel den Herbst und den Tod meint. Letzteren spricht auch Günter Kunert an in „Grünes Gedicht“, mit dem sich auch das eine oder andere Park- oder Friedhofsbild von Klaus Geigle beschreiben ließe. Hier nur die erste von zwei Strophen:

Es ist die Stille grün: ein leerer Rasen:

betäubend grün und leer wie nichts zuvor,

darunter liegen alle Wünsche längst begraben,

und längst verstummte der Begräbnischor.

Und von Wilhelm Müller stammt das Gedicht „Die böse Farbe“, das ebenfalls einen Abschied thematisiert, das Ende eines Lebens und einer Liebe zugleich, und dessen Ich-Erzähler von der Fröhlichkeit des Grüns geradezu belästigt wird. Die ersten drei (von vier) Strophen lauten:

Ich möchte ziehn in die Welt hinaus,

Hinaus in die weite Welt,

Wenn’s nur so grün, so grün nicht wär

Da draußen in Wald und Feld.

Ich möchte die grünen Blätter all

Pflücken von jedem Zweig,

Ich möchte die grünen Gräser all

Weinen ganz totenbleich.

Ach grün, du böse Farbe du,

Was siehst du mich immer an,

So stolz, so keck, so schadenfroh,

Mich armen weißen Mann?

Auch bei Klaus Geigle ist das leitmotivisch und sloganhaft auftretende Grün weniger strahlend frisch als vielmehr dunkel und erdig-oliv, aber dennoch von großem Nuancenreichtum. Zuweilen begleitet dieses Grün bei ihm aber verschärft skurrile Bildgedanken, beispielsweise wenn mitten auf einer Wiese ein einsamer Polstersessel steht, der zum kontemplativen Betrachten des Panoramas einlädt. Auch andere seiner grünen Bilder weisen ins Absurde, so dass man unweigerlich bei einer bekannten Nummer des Musicals „My Fair Lady“ von Frederick Loewe landet, deren abstruser Text mit einen Teil des Œuvres von Klaus Geigle konspiriert:

Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blüh’n.

[…]

Noch einmal: Wann ergrünt das Grün?

Wenn die Blüten erblüh’n!

Und was macht dann das Grün?

Es grünt so grün!

Zum Verständnis dieser sonderbaren Äüßerungen muss man wissen, dass es sich um Sprachübungen handelt, mit denen sich eine vulgäre Londoner Straßenverkäuferin die Ausdrucksformen einer Dame höheren Standes aneignen soll. Da Klaus Geigle so manches Motiv in Spanien fand, würde übrigens auch der englische Originaltext des Songs ganz gut passen: „The rain in Spain stays mainly in the plain“. Solche Sprachspiele finden sich auch in den Geigleschen Bildtiteln, zum Beispiel für das ausgestellte große Gemälde eines Rehs mit seinem Kitz: „Oh dear my deer, there is no way out of Norway“.

Aber was auch immer dargestellt sein mag: Geigles gestörte Idyllen, seine Ikonen ereignisloser Tristesse und Würdigungen bedeutungs- und trostloser Winkel sind in erster Linie experimentelle Bilder über das Phänomen Malerei, sind Auseinandersetzungen mit Kunstgattungen, Stiltendenzen und Vorbildern, sind visuelle Diskurse über Realität und Abstraktion, über Fläche und Raum, über Farbe und Faktur, über Hell und Dunkel. Er mixt hemmungslos Naturalismus, Symbolismus, Surrealismus, Magischen Realismus, Pittura metafisica, Informel und den fotografischen Blick technisch virtuos zu sehr speziellen Bildwelten mit experimentellen Flächengestaltungen. Seine Gemälde sind mit Humor, Ironie, Sarkasmus, Skurrilität, Morbidezza sowie „piktoralen Leerstellen“ gewürzt und können Spuren von Knochen, Fahrbahnmarkierungen, Wellensittichen, Spitzendeckchen und Ornamenten enthalten. Das Schaffen von Klaus Geigle lässt sich vielleicht mit dem Titel einer Komödie des westfälischen Vormärz-Dramatikers Christian Dietrich Grabbe zusammenfassen: „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“.