Eröffnungsrede  der Ausstellung

NINA RÖDER / KLAUS GEIGLE in der S6, München

Anna-Helena Klumpen, 5. Mai 2018

Dank

Auch ich heiße Euch alle herzlich Willkommen zur Eröffnung der Ausstellung und feierlichen Einweihung des neuen dreigegeneinen-Standorts. Ich freue mich sehr, dass wir die Idee, in den neuen Büroräumen eine Ausstellung mit Nina Röder und Klaus Geigle zu machen, wirklich umgesetzt haben und die Ausstellung heute hier in der S6 eröffnen! 

Ich möchte mich gleich zu Beginn sehr herzlich bei Max, Basti, Nikola und David bedanken, die diesem Projekt von Anfang an so offen und motiviert gegenüberstanden. Der Ästhetik des Bauhauses verschrieben, mit Liebe zum minimalistischen und funktionellen Detail, haben dreigegeneinen maßgeblich zur Realisierung der Ausstellung beigetragen.

Mein Dank geht natürlich auch an die beiden Künstler, die viele von Euch ja auch persönlich kennen. Bei der Hängung waren Nina und Klaus selbst erstaunt darüber, gelegentlich geradezu „erschrocken“, wie sehr ihre Arbeiten miteinander korrespondieren. 

Einleitung

Der Titel der Ausstellung NINA RÖDER / KLAUS GEIGLE ist bewusst kein thematischer, da dies der Vielfalt der hier gezeigten Bildwelten nicht gerecht werden würde. Der Schrägstrich im Titel ist Programm: in der Ausstellung begegnen sich Fotografie und Malerei, Pixel und Pigmente, Pflanzen, Menschen und Tiere, Leben und Tod. Im Fokus dabei steht die von den Kunstwerken ausgehende atmosphärische Stimmung – das Kolorit der Bilder: präsentiert in zwei einander gegenüberliegenden Räumen, dem hiesigen großen Ausstellungsraum, und einem kleineren Raum auf der anderen Seite des Hofes, werden die Grün-grau Töne der mediterranen Werkgruppen mit den rot-violett Schattierungen der aktuellen „Heimatserien“ konfrontiert. Vielmehr als einen medialen Vergleich zwischen Malerei und Fotografie anzustellen, zeigt die Ausstellung eine dialogische Gegenüberstellung der beiden künstlerischen Werke – es geht darum, Verbindungen herzustellen und Assoziationsräume zu schaffen.

Ninas Fotografien und Klaus Gemälde weisen erstaunliche Parallelen auf, sowohl hinsichtlich der Motive als auch der Farbgebung – dies ist in der Ausstellung unschwer zu erkennen – PLAKATE und auf den beiden Ausstellungsplakaten auch schon schön zu sehen // An dieser Stelle möchte ich unserer brillanten Grafikerin, Christine Lange, meinen herzlichen Dank aussprechen! Es ist immer wieder faszinierend, mit welchem Gespür und mit welcher Präzision sie visuelle Konzepte entwickelt: „2 Schriften / 2 Künstler — Schnittmenge in Farb- und Themenwelt.“ Diese kurze Notiz, die Stine ihrem Entwurf beigefügt hat, möchte ich gerne aufgreifen, und mit der Vorstellung der beiden Künstler beginnen, um Euch anschließend, mit einer kleinen Tour d’Horizon, einen Überblick über die Themen der Ausstellung zu geben.

Vorstellung der Künstler 

Nina Röder, geboren 1983 im fränkischen Neuendettelsau, lebt und arbeitet in Berlin und Hamburg. Sie studierte Mediengestaltung mit Schwerpunkt Fotografie an der Bauhaus-Universität Weimar, wo sie von 2012-2017 als künstlerische Mitarbeiterin an der Fakultät Medien tätig war. Seit letztem Herbst ist sie Professorin für Fotografie im Fachbereich Kunst & Design an der BTK Hamburg. Während ihrer Artist Residencies in Frankreich, Italien und Spanien, sowie Irland, Island und Boston ist ihre umfassende Fotoserie A LITTLE DEEPER THAN YOU TOUGHT entstanden. Letztes Jahr war Nina zu Gast im Château de la Napoule an der Côte d’Azur, woraus ihre Serie ALWAYS BEYOND resultierte. 

In der Ausstellung werden ausgewählte Arbeiten beider Serien gezeigt – mit dem Schwerpunkt auf Arbeiten, die im Mittelmeerraum entstanden sind – sowie vier Werke aus der aktuellen Serie WENN DU GEHEN MUSST, WILLST DU DOCH AUCH BLEIBEN, die im kleinen Raum ausgestellt sind. Nina Röders Fotografien haben zahlreiche Auszeichnungen und Preisen erhalten, zuletzt gewann sie mit dem Bild Mum in Bed den LensCulture Exposure Award. Ich freue mich sehr, dass wir auch dieses Bild heute hier zeigen können.

Klaus Geigle arbeitet als freischaffender Künstler in Münster. Geboren 1969 im niederrheinischen Orsoy, studierte er Freie Kunst an der Kunstakademie Münster, wurde dort 2001 von Prof. Udo Scheel zum Meisterschüler ernannt und erhielt 2003 den Akademiebrief. Seit 2015 hat er einen Lehrauftrag an der Münster School of Architecture der Fachhochschule Münster inne, wo er angehenden Architekten das freie Zeichnen beibringt. Klaus Geigle hat diverse Auszeichnungen und Preise erhalten, unter anderem den Förderpreis der Stiftung „Kunst und Kultur“ in Magdeburg. 

Als Artist in Residence war er viel in Spanien und Schweden unterwegs, in Sevilla, Almería und Andratx und auf der schwedischen Insel Gotland, was sich unübersehbar in seinen Bildmotiven widerspiegelt, insbesondere in der AGAVENSERIE, aus der wir neben der Gruppe kleinformatiger Arbeiten die raumgreifenden Gemälde Agave und Dürerhasenskulptur auf spanischer Verkehrsinsel zeigen, die zu meiner großen Erleichterung in der Ausstellung Platz gefunden haben. Vor zwei Tagen erst ist Klaus von einem einmonatigen Gastatelier-Aufenthalt in einer Galerie in Alaró heimgekehrt – mit neuen Bildern im Gepäck ist er direkt von Mallorca nach München geflogen! Drei dieser neuen Arbeiten sind gegenüber zu sehen.

Geigle: Stil und Technik – Technischer Bruch 

Klaus Gemälde reichen von kleinformatigen Arbeiten in Öl auf Holz bis hin zu raumgreifenden Acryl-Gemälden – die Bilder sind vornehmlich realistisch, oftmals angereichert mit irritierenden surrealistischen Elementen, und nicht selten auch mit humorvollem Unterton. Landschaften, Pflanzen und Tiere, insbesondere kleine Nagetiere und Greifvögel, spielten schon immer eine zentrale Rolle in Klaus Malerei – seine Wappentiere sind Hasen und Eichhörnchen bzw. „Hamster“ – doch seit dem Abschluss der Agavenserie 2016 arbeitet er verstärkt an der Werkgruppe TIERE. 

Technisch sind Klaus Bilder von einem Bruch gekennzeichnet: Die figürlich-realistischen Sujets im Vordergrund sind mit altmeisterlicher Akribie gemalt und kontrastieren mit der abstrakten Flächenmalerei im Hintergrund, so etwa die Spinatwachteln, die im kleinen Raum zu sehen sind: die auf Sockeln platzierten Hühnervögel heben sich wie scheinräumliche Figuren von der türkis-grünen Farbfläche ab, die Geigle als  „Spinat“ definiert. Die Farbe ist das Medium des Malers, Grundlage seines künstlerischen Ausdrucks – in seiner Malerei spielt und experimentiert er mit Farbe und Technik, wobei er die Pigmente des Öfteren nicht nur selbst anreibt, sondern auch schon einmal eigenhändig zum Mörser greift, um andalusische Steinbrocken in Pigment zu verwandeln. 

Röder: Stil und Technik – Rückenriss 

Auch Ninas Fotografien zeigen neben inszenierten Figurenbildern Natur- und Landschaftsaufnahmen, stets in dem für Nina Röder charakteristischen quadratischen Format. Dass ihre Fotografien allesamt quadratisch sind – vom kleinsten hier gezeigten Bild Tote Tiere bis hin zum großformatigen Bild Mum in Bed – ist keine rein künstlerische Entscheidung, sondern technisch bedingt: Nina arbeitet mit analogem Mittelformat, genauer: einer Hasselblad-Kamera, deren Negativgröße immer 6 x 6 cm ist. Diese Negative scannt sie ein und bearbeitet die Bilder anschließend am Rechner – es handelt sich bei ihrer künstlerischen Praxis also um eine halb analoge-halb digitale Arbeitsweise. In der Fotografie Rückenriss „bohrt“ sich das Analoge förmlich wieder ins Bewusstsein.  

Das Bild zeigt den marmorweißen Rücken einer nackten Frau, die mit geballten Fäusten in einen Tümpel eintaucht. Am oberen Bildrand ist ein Riss im Bild zu erkennen, der den Rücken der Figur förmlich spaltet, und der analogen Technik verschuldet ist – denn der Riss befindet sich auf dem Negativ des Bildes. Eingescannt erscheint der Riss dann weiss, wie mir Nina erklärte. Der Riss entstand dadurch, dass sie die Filmrolle nicht richtig eingelegt hatte und das Bild somit zu weit hinten platziert war – so dass sich beim Entwicklungsprozess in der Dunkelkammer eine der Klammern, mit denen die Bilder im Trockenschrank aufgehängt werden, durch das Bild gebohrt hat. Im Rückenriss wird dieser technische Makel zum titelgebenden Sujet.

Daheim und unterwegs 

Von ihrer unmittelbaren Umwelt inspiriert, schaffen Nina und Klaus daheim und unterwegs nahezu konträre Bildwelten. Unterwegs im Mittelmeerraum verbindet beide Künstler eine regelrechte Obsession für die mediterrane Pflanzenwelt: Agaven, Kakteen und Aloen werden in all ihrer Dickfleischig- und Dornspitzigkeit zu Hauptfiguren erhoben, gar zum „Lieblingsplatz“ erkoren – die Fotografie My favourite place und das Gemälde Agave stehen exemplarisch für den Dialog zwischen RÖDER / GEIGLE. In Kombination mit Ninas Fotografie wird die Agave gar zu einer Karnivore, der menschliche Beute in die Fangblätter gegangen ist. Dabei war das Modell für die bedrohlich große Agave nur ein kleines Pflänzchen in Klaus Atelierküche, das er mit einer Taschenlampe in Szene gesetzt hat.  

Neben der mediterranen Pflanzenwelt kommt Wasser in den Fotografien und den Gemälden eine besondere und vielschichtige Bedeutung zu: Zisternen, groß angelegte Außenpools, Wasserlöcher, Quellen, Tümpel, Rinnsale, Gischt und auch das Meer sind bei beiden Künstlern wiederkehrende Motive. 

Daheim sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Im kleinen Ausstellungsraum werden ausgewählte Arbeiten aus Ninas aktueller Fotoserie zusammen mit einer Auswahl aus Klaus TIERREIHE gezeigt. Thematisches Lokalkolorit von ausgestopften Tieren und Omas Pelzen trifft hier auf die Weltgewandtheit von künstlich-strahlenden Farbflächen und verfremdenden Kompositionen – dem Albino-Hörnchen geht es förmlich an den großmütterlichen Pelzkragen!

Spuren des Morbiden: Haut und Tierpräparate

In beiden Werken ist eine Affinität zum Morbiden zu beobachten. Bei den auf den ersten Blick vielleicht arg putzig wirkenden Schneehasen überkommt einen bei näherer Betrachtung ein latentes Unbehagen – ebenso bei der zunächst spielerisch und heimelig anmutenden Komposition Mum in Bed. Zu sehen sind zudem Knochen und Kadaver. Auch der nackte, kopfüber im Meer liegende Frauenkörper in der Fotografie Her von Nina wirkt auf den ersten Blick wie eine „Wasserleiche“, ist aber genauso lebendig wie der Albino-Oktopus daneben. 

Nackte Körper inmitten wilder Natur sind ein zentrales Thema in Ninas Fotokunst. Ihre durchdachten Kompositionen zeigen bloße, menschliche Körper, in befremdlichen Posen in der Landschaft inszeniert, das Gesicht zumeist vom Betrachter abgewandt oder von Pflanzen bedeckt. So manche Interaktion mit der Natur, die Nina sich selbst oder ihren Protagonisten abverlangt, geht im wahrsten Sinne unter die Haut, oder besser: prägt sich in diese ein. Wenn man ihre Bilder betrachtet, scheint es wahrlich so, wie es der französische Lyriker und Philosoph Paul Valéry 1931 in seinen Idée fixe postuliert: 

„Ce qu’il y a de plus profond dans l’homme, c’est la peau.”  – „Das Tiefgründigste am Menschen ist die Haut“. 

In Nina Röders Werk wird das Phänomen „Haut“ geradezu durchdekliniert. Auf den Bildern sind unterschiedlichste dermatische Erscheinungsformen und Reaktionen zu erkennen: von der Gänsehaut und dem BH-Abdruck in der Fotografie Rückenriss über die hervorstechende Rückenbehaarung des Protagonisten in My favourite place bis hin zu den großflächigen Hautabdrücken auf den Beinen in dem Bild Kaktusabruck – für dieses Bild hat sich Nina Gras in die Strumpfhose gestopft und einige Stunden auf eine Wiese gelegt, was auf ihrer Haut deutliche Spuren hinterlassen hat. Es entsteht der Eindruck einer eher untypischen Beinbehaarung.  

Taxidermie – die Gestaltung der Haut – ist ein Teilgebiet der Tierpräparation, das zentrale Thema von Klaus Geigles jüngsten Werken. Dass der Maler auf der Suche nach interessanten Motiven durch die Naturkundemuseen der Republik streift, statt in den Zoo zu gehen, hat ihm zufolge ganz einfach den praktischen Grund, dass „die Tiere im Naturkundemuseum wesentlich besser still halten.“ Doch diese pragmatische Entscheidung wirft einige interessante bildtheoretische Fragen auf: Was passiert, wenn Tierpräparate, also tote, leblose Gegenstände, porträtiert und durch Malerei verbildlicht werden? Und inwiefern ist es überhaupt möglich, ein Abbild von einem Abbild zu malen? 

Für die Präsentation in Naturkundemuseen etwa ist es die hohe Kunst, das Tier so lebendig wie möglich erscheinen zu lassen – das Wilde wird nachgebildet und zum Repräsentanten einer Tierart. Das Modell wird zum Trugbild, denn hier wird nicht die Wirklichkeit, sondern nur ein Bild der Wirklichkeit gezeigt: das, was in unseren Augen den Hasen zum Hasen macht. Ausgestopfte Tiere zu malen ist insofern paradox, als dass die Tiere auf der Leinwand nicht mehr als angestaubte Präparate, sondern als lebendige Tiere wahrgenommen werden – es wirkt so, als ob sie in den Gemälden abermals zu neuem Leben erwachen, gar miteinander agierten, wie etwa bei den bereits erwähnten Schneehasen, auf deren Insel sich noch zu entdeckende Untermieter eingenistet haben. Wir werden folglich mit dem sinnwidrigen Superlativ von „lebendig“ konfrontiert – oder umgekehrt, man könnte auch behaupten, die Tiere stürben einen weiteren Tod, denn der künstlerischen Gattung, einer Mischform aus Porträt und Stillleben, haftet wiederum etwas Morbides an, überdauert das Abbild doch immer auch sein Modell. 

Klaus Gemälde sind „veritable ‚nature morte‘“, wie es der Künstlerkollege Timm Ulrichs in Bezug auf Geigles Tierbilder treffend formuliert hat. In den Bildern mischt sich Makabres und Morbides mit Absurdem und Kuriosem, bis hin zu Witzigem. 

Diptychon Grandma’s maries und Her favourite pillow

Im Raum gegenüber treffen die Tierbilder auf Nina Röders neue Serie WENN DU GEHEN MUSST, WILLST DU DOCH AUCH BLEIBEN, in der Nina der eigentümlichen Atmosphäre des verlassenen, großmütterlichen Hauses nachspürt, das sie zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Cousine ausgeräumt hat. Doch die Fotografien sind nicht biografisch zu verstehen. Vielmehr ist es eine rein ästhetische, das kuriose Inventar des Hauses verfremdende Serie. 

Hervorheben möchte ich das Diptychon Grandma’s maries und Her favourite pillow, das in besonderer Weise einen Dialog zwischen Malerei und Fotografie herstellt. Das Porträt Her favourite pillow zeigt eine Frau mit einem plissierten Rundkissen auf dem Kopf, die demütig zu Boden blickt. Besonders in Zusammenhang mit dem anderen Bild der zweitteiligen Arbeit, Grandma’s maries, auf dem zwei Marienfiguren vor schweren Vorhängen zu sehen sind, lässt sich die Komposition als Parodie auf Darstellungen der Heiligen Jungfrau Maria lesen, wenn nicht gar der Marienkrönung: die Pointe besteht hier im Austausch des Heiligenscheins bzw. der Krone mit einem ordinären Zierkissen – Verzeihung – mit Omas liebstem Kissen: dem rosa Satinkissen!